MOMENTAUFNAHME
Ein Moment zwischen Fliege und Hengst
Manchmal reicht schon die klitzekleinste Begebeneheit, die winzigste Beobachtung,
eine nur am Rande wahrgenommene Nichtigkeit. Und die verändert dann den ganzen Tag.
Oder die ganze Nacht. Oder das ganze Leben.
So wie neulich. Als ich nur schnell einen Kaffee trinken wollte.
Ich warte.
Ein Hengst kommt vorbei. In leichtem Trab, schaut nach rechts und links. Mit Stolz erhobenem Kopf.
Ich sehe auf, unsere Blicke treffen sich.
Ich blicke wieder auf den blauen Tisch vor mir, wo eine Fliege gerade meine Kaffeetasse erklimmt.
Als ich wieder aufschaue, ist er verschwunden.
Ich warte.
Ein Mann in Jogginghose räumt einen Stuhl von einem Tisch an den anderen. Dann einen zweiten vom
ersten Tisch an einen dritten. Dann einen Stuhl vom dritten Tisch an den Rand der Terrasse.
Ohne das seine Augen einmal in die Horizontale wandern, verschwindet er wieder im Cafe.
Ich warte.
Das Wiehern des Hengstes dringt aus dem Innern des Cafes zu mir heraus.
Die Fliege keucht: Rand in Sicht.
Der Mann in der Jogginghose trägt einen kleinen Tisch heraus und stellt ihn vor den einsamen Stuhl.
Auf seinem Rücken krabbelt ein Käfer.
Ich warte.
Die Fliege liegt in den letzten Zügen. Sie kann nicht schwimmen.
Der Hengst scharrt mit den Hufen.
Ich warte.
Das Jenseits nähert sich.
Dabei wollte ich nur einen Kaffee trinken.
(c)Tatjana Bielke
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Alle Bilder auf dieser Seite: (c) Tatjana Bielke